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BFH: Reemtsma-Direktanspruch

Der sich aus dem Unionsrecht entsprechend dem Urteil des Gerichtshofs der Europäischen Union Reemtsma Cigarettenfabriken vom 15.03.2007 ‑ C‑35/05, EU:C:2007:167 = SIS 07 10 88 ergebende Direktanspruch setzt voraus, dass eine Steuer in einer Rechnung für eine ‑‑bereits erbrachte oder noch zu erbringende‑‑ Leis­tung zu Unrecht gesondert ausgewiesen wurde (Festhalten am BFH-Urteil vom 22.08.2019 ‑ V R 50/16, BFHE 266, 395, BStBl II 2022, 290, Leitsatz = SIS 19 17 26).

UStG § 15 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1
MwStSystRL Art. 167, 168, 203
FGO § 126a

BFH-Beschluss vom 5.12.2024, V R 11/23 (veröffentlicht am 24.4.2025)

Vorinstanz: Hessisches FG vom 13.3.2023, 6 K 1284/21 = SIS 24 04 29

I. Zwischen den Beteiligten ‑‑der Klägerin und Revisionsklägerin (Klägerin) und dem Beklagten und Revisionsbeklagten (Finanzamt ‑‑FA‑‑)‑‑ ist streitig, ob die Klägerin, die in Übereinstimmung mit dem FA davon ausgeht, im Jahr 2006 (Streitjahr) gemäß § 2 Abs. 2 Nr. 2 des Umsatzsteuergesetzes (UStG) Organ­trägerin der M‑GmbH gewesen zu sein, insbesondere eine abweichende Steu­erfestsetzung gemäß § 163 der Abgabenordnung (AO) im Hinblick auf einen sich aus der Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Union (EuGH) ergebenden Direktanspruch auf Erstattung zu Unrecht in Rechnung gestellter Mehrwertsteuer verlangen kann. Der Klägerin wurde ein Vorsteuerabzug ver­sagt, den sie aufgrund von "Belastungen" eines Abnehmers der M‑GmbH in der Annahme geltend gemacht hatte, dass die M‑GmbH im Streitjahr sonstige Leistungen von diesem Abnehmer bezogen hatte. Aufgrund der Eröffnung ei­nes Insolvenzverfahrens über das Vermögen des Abnehmers im Jahr 2012 verfolgte die Klägerin ihre hieraus resultierenden Rückforderungsansprüche gegen den Abnehmer nicht weiter.

Die M‑GmbH lieferte im Streitjahr an den Abnehmer Nahrungsmittel zum er­mäßigten Steuersatz. Die M‑GmbH leistete entsprechend der mit dem Abneh­mer getroffenen Vereinbarungen aufgrund von "Belastungen", die als Empfän­gerin die M‑GmbH und als Absender den Abnehmer nannten, auch Zahlungen an den Abnehmer, die als "Kategorienbonus" oder beispielsweise als "Grund­bonus", "Umsatzzuwachs", "umsatzbezogene Bonusstaffel", "Zentralbonus", "Potentialbonus" oder "Home-Shopping" bezeichnet wurden. Die "Belastungen" enthielten neben Angaben zum "Datum", zur "Beleg-Nr." und zum "Begrün­dungstext" unter den Überschriften "Nettobeträge" und "Umsatzsteuer" Be­tragsangaben, denen jeweils ein Minuszeichen vorangestellt war. In Bezug auf den jeweiligen Nettobetrag wurden die Steuerbeträge nach dem Regelsteuer­satz ermittelt. Diesen "Belastungen" entsprechend leistete die M‑GmbH Bonus­zahlungen an den Abnehmer.

Die Klägerin sah sich im Umfang dieser Bonuszahlungen als zum Vorsteuerab­zug berechtigt an, da sie annahm, der Abnehmer habe für diese Zahlungen seinerseits Leistungen an die M‑GmbH, wie etwa Werbeleistungen, erbracht. Der Abnehmer sah die Bonuszahlungen ebenfalls als Entgelt für von ihm er­brachte sonstige Leistungen an und versteuerte diese, ohne dass es bis zum Eintritt der für ihn geltenden Festsetzungsverjährung zu einer Korrektur seiner für das Streitjahr erfolgten Umsatzsteuerfestsetzung kam.

Aufgrund einer Außenprüfung ging das seinerzeit für die Besteuerung der Klä­gerin zuständige Finanzamt A (FA A) indes zum einen davon aus, dass die Klä­gerin auf von der M‑GmbH ausgeführte Lieferungen von Nahrungsmitteln in flüssiger Form zu Unrecht den ermäßigten Steuersatz angewendet habe, und erließ zunächst im Jahr 2014 einen gemäß § 164 Abs. 2 AO entsprechend ge­änderten Änderungsbescheid für das Streitjahr, gegen den die Klägerin Ein­spruch einlegte.

Zum anderen nahm das FA A aufgrund der Außenprüfung an, dass die Bonus­zahlungen nicht als Entgelt für sonstige Leistungen, die der Abnehmer an die M‑GmbH erbracht habe, anzusehen seien. Daher sei der insoweit nach Maßga­be des Regelsteuersatzes in Anspruch genommene Vorsteuerabzug ‑‑auf einen Entgeltbetrag von … €‑‑ in Höhe von … € zu versagen. Stattdessen sei von einer Entgeltminderung auf steuersatzermäßigte wie auch dem Regelsteuersatz unterliegende Lieferungen der M‑GmbH an den Abneh­mer auszugehen. Dabei entfiel der Gesamtbetrag von … € nach Auffassung des FA A zu x % ‑‑und damit in Höhe von … €‑‑ auf steuersatzermäßigte Lieferungen und zu y % ‑‑und damit in Höhe von … €‑‑ auf die dem Regelsteuersatz unterliegenden Nahrungsmittel in flüssiger Form, so dass sich für die steuersatzermäßigten Lieferungen eine Steuerberichtigung von … € und für die regelsatzbesteuerten Liefe­rungen eine Steuerminderung von … € ergab. Nach Abzug der Ge­samtsteuerminderung von … € vom Betrag des versagten Vorsteuer­abzugs in Höhe von … € verblieb eine Nachforderung von … €. In der Folge erließ das FA A im Jahr 2016 einen entsprechend geänderten Umsatzsteuerbescheid für das Streitjahr und hob den Vorbehalt der Nachprüfung auf. Den Nachforderungsbetrag von … € hatte die Klägerin bereits im Dezember 2015 an das FA A gezahlt. In Höhe des Nachfor­derungsbetrags machte die M‑GmbH einen Rückforderungsanspruch gegen den Abnehmer geltend, wobei dies aber aufgrund der Eröffnung des Insolvenz­verfahrens über dessen Vermögen zu keinen Zahlungen aus der Masse führte. Den Nachforderungsbetrag meldete die M‑GmbH nicht zur Insolvenztabelle an. Zu den streitgegenständlichen "Belastungen" erteilte der Insolvenzverwalter des Abnehmers am 24.03.2016 "Stornierungen und Neuberechnungen".

Gegen den Änderungsbescheid, der gemäß § 365 Abs. 3 Satz 1 AO Gegen­stand des bereits vorliegenden Einspruchsverfahrens wurde, legte die Klägerin Einspruch ein und beantragte zusätzlich wegen sachlicher Unbilligkeit "von ei­ner Festsetzung nach §§ 163, 227 AO über Umsatzsteuer abzusehen". Wäh­rend des Einspruchsverfahrens erging aus zwischen den Beteiligten nicht strei­tigen Gründen ein weiterer Änderungsbescheid.

Das später für die Besteuerung der Klägerin zuständig gewordene Finanzamt B (FA B) wies den Einspruch der Klägerin gegen den Umsatzsteuerbescheid für das Streitjahr in Bezug auf die Versagung des Vorsteuerabzugs und die statt­dessen vorzunehmende Entgeltminderung durch Teileinspruchsentscheidung zurück. Den Billigkeitsantrag lehnte es mit einem gesonderten Bescheid von demselben Tag ab.

Die Klägerin wandte sich mit einer auf das Festsetzungsverfahren bezogenen Klage gegen den Änderungsbescheid in Gestalt der Teileinspruchsentschei­dung, die das Finanzgericht (FG) im Verfahren 6 K 1285/21 abwies. In diesem Klageverfahren reichte die Klägerin eine "Sammel-Rechnungsberichtigung" vom 07.07.2022 ein, nach der bei Rechnungen mit im Einzelnen bezeichneten Rechnungsnummern rückwirkend das Minuszeichen gestrichen und die Be­zeichnung "Rechnung" ergänzt wurde, soweit diese bisher nicht vorhanden war.

Mit einer Sprungklage, der das FA B zustimmte, machte die Klägerin im fi­nanzgerichtlichen Verfahren 6 K 1284/21 insbesondere die Rechtswidrigkeit der vorliegend streitigen Ablehnung der abweichenden Steuerfestsetzung aus Billigkeitsgründen geltend. Diese Klage hatte ebenfalls keinen Erfolg. Nach dem in Entscheidungen der Finanzgerichte 2024, 792 veröffentlichten Urteil des FG sind die Voraussetzungen für einen unionsrechtlichen Direktanspruch entsprechend der Richtlinie 2006/112/EG des Rates vom 28.11.2006 über das gemeinsame Mehrwertsteuersystem (MwStSystRL) nicht gegeben. Im Umfang der Versagung des Vorsteuerabzugs aus den vom Abnehmer erteilten "Belas­tungen" seien Leistungen weder vereinbart noch tatsächlich erbracht worden. Es habe sich vielmehr um die Abrechnungen von Boni und Rabatten gehandelt. Das Erreichen bestimmter Abnahmemengen stelle keine Leistung dar. Zudem fehle es ‑‑auch unter Berücksichtigung späterer Korrekturen-‑ im Hinblick auf § 14 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 UStG an ordnungsgemäßen Rechnungen. Einen von der Klägerin in diesem Zusammenhang gestellten Beweisantrag lehnte das FG als Ausforschungsantrag ab. Ungeachtet der vorstehenden Erwägungen habe es sich ‑‑so das FG weiter‑‑ bei allen "Belastungen" bereits dem Grunde nach nicht um Rechnungen gehandelt, wie der Bundesfinanzhof (BFH) in einer vom Insolvenzverwalter des Abnehmers geführten Finanzstreitsache zu diesen "Belastungen" mit Urteil vom 26.06.2019 ‑ XI R 5/18 (BFHE 266, 67, BStBl II 2023, 521) entschieden habe, die daher auch einer rückwirkenden Berichti­gung nicht zugänglich gewesen seien. Die Fehlerhaftigkeit der Abrechnungen sei zudem leicht erkennbar gewesen. Auch in Bezug auf den "Kategorien­bonus" komme eine Billigkeitsmaßnahme im Hinblick auf das Fehlen einer ordnungsgemäßen Rechnung nicht in Betracht.

Mit ihrer auf die Verletzung formellen und materiellen Rechts gestützten Revi­sion macht die Klägerin geltend, dass die Voraussetzungen eines Direktan­spruchs auf Erstattung zu Unrecht in Rechnung gestellter Mehrwertsteuer ge­geben seien. Für den Direktanspruch müsse ‑‑was im Streitfall zu bejahen sei‑‑ lediglich eine unberechtigte Bereicherung des Fiskus aufgrund einer rechtsgrundlosen Zahlung in einem öffentlich-rechtlichen Rechtsverhältnis ent­standen sein, wobei der Zahlende den unberechtigt als Steuer an den Staat abgeführten Betrag nicht mehr oder zumindest übermäßig erschwert von dem seinerzeitigen Zahlungsempfänger zurückverlangen könne, sofern im Übrigen kein Betrug oder Missbrauch vorliege. Weitergehende Voraussetzungen seien nicht zu erfüllen. Der Direktanspruch setze keine Leistung und auch keine Rechnung voraus. Es bestehe auch keine Akzessorietät in Bezug auf die zivil­rechtliche Forderung. Auf ein Mitverschulden komme es nicht an.

Die vom EuGH in Bezug auf den Direktanspruch gewählten Begrifflichkeiten er­klärten sich ausschließlich aus den Besonderheiten der jeweiligen Rechtssa­chen. Hingegen könne aus den bisherigen Urteilen des EuGH nicht abgeleitet werden, dass der Direktanspruch in anderen Fallkonstellationen, über die der EuGH noch nicht entschieden habe, nicht zu gewähren sei. Der EuGH habe nicht beabsichtigt, eine erbrachte Leistung zur Voraussetzung des Direktan­spruchs zu machen. Im Lichte des mit dem Direktanspruch verfolgten Zwecks der Gewährleistung der steuerlichen Neutralität und Effektivität sei es uner­heblich, worauf die systemwidrige Steuerbelastung des gutgläubigen Wirt­schaftsteilnehmers letztlich beruhe, wenn der Fiskus rechtsgrundlos finanziell übervorteilt sei. Der das gesamte Umsatzsteuerrecht prägende Neutralitäts­grundsatz gebiete es, dass der gegen die Finanzverwaltung gerichtete Erstat­tungsanspruch nicht von der umsatzsteuerrechtlichen Leistungsqualität oder von dem Vorliegen einer formal ordnungsgemäßen Rechnung und damit letzt­lich von einer korrekten Subsumtion abhängig gemacht werde. Vielmehr habe erst recht eine staatliche Erstattung der als Umsatzsteuer abgeführten Beträge zu erfolgen, wenn dem Geschäftsvorfall keine tatsächlich erbrachte Leistung zugrunde liege. Zu berücksichtigen seien auch die Schwierigkeiten bei der zu­treffenden Subsumtion eines Geschäftsvorfalls durch den Rechtsanwender als umsatzsteuerrechtlich relevante Leistung. Vergleichbares gelte für das Erfor­dernis einer umsatzsteuerrechtlich ordnungsgemäßen Rechnung. Ebenso wie beim Vorsteuerabzug könne das Vorliegen einer formal-ordnungsgemäßen Rechnung nicht zwingende Voraussetzung für den Direktanspruch sein, da bei­de Fälle der Absicherung des Neutralitätsgrundsatzes dienten. Bei einer unbe­strittenen Bereicherung des Fiskus könne es keinen Unterschied machen, ob eine Rechnung ganz fehle oder sämtliche formale Rechnungsanforderungen nicht eingehalten worden seien, wenn eine Gefahr für das Steueraufkommen schlicht nicht bestehe.

In jedem Fall habe der Abnehmer sonstige Leistungen in Form von Werbeleis­tungen an die M‑GmbH erbracht, so dass dem Direktanspruch eine fehlende Leistungserbringung nicht entgegengehalten werden könne. Der vom FG ver­nommene Zeuge habe dies für den "Kategorienbonus" bestätigt. Die Annahme des FG, es seien keine sonstigen Leistungen erwartet und auch nicht vom Ab­nehmer erbracht worden, sei unzutreffend. Das FG stelle eine unzulässige ex post-Betrachtung an. Der Vorsteuerabzug sei im Übrigen bezüglich des "Kate­gorienbonus" entgegen dem EuGH-Urteil Vadăn vom 21.11.2018 ‑ C‑664/16, EU:C:2018:933 nicht gewährt worden. Zudem habe das FG § 76 Abs. 1 Satz 1 der Finanzgerichtsordnung (FGO) verletzt, da die beantragte Beweiserhebung unterblieben sei.

Die Klägerin beantragt sinngemäß,
das Urteil des FG und den Ablehnungsbescheid vom 26.08.2021 aufzu­heben und das FA zu verpflichten, den Umsatzsteuerbescheid 2006 vom 08.06.2016 aus Billigkeitsgründen dahingehend zu ändern, dass die Umsatzsteuer um … € nebst Zinsen herabgesetzt wird.

Das FA beantragt,
die Revision als unbegründet zurückzuweisen.

Während des Revisionsverfahrens wurde infolge einer Neuorganisation der Fi­nanzbehörden das FA für die Besteuerung der Klägerin zuständig.

II. Das FA ist mit Wirkung zum 01.03.2024 durch die Neunte Verordnung zur Änderung der Verordnung über die Zuständigkeiten der hessischen Finanz­ämter vom 22.02.2024 (Gesetz- und Verordnungsblatt für das Land Hessen 2024, Nr. 5) aufgrund eines Organisationsaktes der Finanzverwaltung in die Zuständigkeit und hierdurch im Wege des gesetzlichen Beteiligtenwechsels in die Beteiligtenstellung des FA B eingetreten (vgl. BFH-Urteile vom 27.11.2019 ‑ I R 40/19 (I R 14/16), BFHE 268, 1, BStBl II 2024, 670; vom 14.03.2024 ‑ V R 51/20, zur amtlichen Veröffentlichung bestimmt, BFH/NV 2024, 1092, Rz 11; BFH-Beschlüsse vom 31.08.2016 ‑ I B 146/15, BFH/NV 2016, 1756; vom 02.04.2014 ‑ I B 21/13, BFH/NV 2014, 1216).

III. Die Entscheidung ergeht gemäß § 126a FGO. Der Senat hält einstimmig die Revision der Klägerin für unbegründet und eine mündliche Verhandlung nicht für erforderlich. Die Beteiligten sind davon unter Hinweis auf die maßgeblichen Gründe unterrichtet worden und hatten Gelegenheit zur Stellungnahme. Das FG hat zutreffend entschieden, dass die Voraussetzungen für eine abweichen­de Steuerfestsetzung aus Billigkeitsgründen nach § 163 AO sowie für einen Er­lass nach § 227 AO nicht gegeben sind, da der Klägerin ein sich aus dem Uni­onsrecht entsprechend dem EuGH-Urteil Reemtsma Cigarettenfabriken vom 15.03.2007 ‑ C‑35/05, EU:C:2007:167 ergebender Direktanspruch nicht zu­steht.

1. Der Senat hält weiter daran fest, dass der Direktanspruch voraussetzt, dass eine Steuer in einer Rechnung für eine ‑‑bereits erbrachte oder noch zu erbrin­gende‑‑ Leistung zu Unrecht gesondert ausgewiesen wurde (BFH-Urteil vom 22.08.2019 ‑ V R 50/16, BFHE 266, 395, BStBl II 2022, 290, Leitsatz) und verweist hierfür in Ergänzung der bereits angesprochenen Bedeutung von Vorsteuerabzug und Neutralitätsgrundsatz (BFH-Urteil vom 22.08.2019 ‑ V R 50/16, BFHE 266, 395, BStBl II 2022, 290, Rz 17 f.) auf Folgendes:

a) Der EuGH sieht in seinem Urteil Reemtsma Cigarettenfabriken vom 15.03.2007 ‑ C‑35/05, EU:C:2007:167, dritte Antwort, das Erfordernis, dass der Leistungsempfänger sich mit seinem Anspruch auf Rückforderung einer "zu Unrecht in Rechnung gestellten Steuer" an den Leistenden zu halten hat, als mit dem Neutralitäts- und Effektivitätsgrundsatz vereinbar an und billigt dem Leistungsempfänger nur im Fall einer in diesem Verhältnis unmöglichen oder übermäßig erschwerten Rückabwicklung aus Gründen der Effektivität einen Di­rektanspruch zu, der sich gegen den Steuergläubiger richtet.

b) Ist nach den Grundsätzen der Neutralität und Effektivität zu bestimmen, ob der Rechnungsempfänger die Rückforderung einer zu Unrecht entrichteten Steuer vom Rechnungsaussteller verlangen muss oder im Wege eines Direkt­anspruchs vom Steuergläubiger verlangen kann, kann sich diese Frage nur für einen Rechnungsempfänger stellen, zu dessen Gunsten der Neutralitätsgrund­satz wirkt. Für diesen muss somit der Anwendungsbereich der Richtlinie 2006/112/EG eröffnet sein.

aa) Der EuGH verweist in seiner Rechtsprechung zum Direktanspruch darauf, dass der Grundsatz der Neutralität durch das Recht auf Vorsteuerabzug ge­währleistet wird, mit dem der Unternehmer vollständig von der im Rahmen seiner gesamten wirtschaftlichen Tätigkeiten geschuldeten oder entrichteten Mehrwertsteuer entlastet werden soll, sofern diese Tätigkeiten selbst grund­sätzlich der Mehrwertsteuer unterliegen (EuGH-Urteile HUMDA vom 13.10.2022 ‑ C‑397/21, EU:C:2022:790, Rz 18; Schütte vom 07.09.2023 ‑ C‑453/22, EU:C:2023:639, Rz 19 und H GmbH vom 05.09.2024 ‑ C‑83/23, EU:C:2024:699, Rz 28), so dass sich die Steuer bei diesen Tätigkeiten in der Weise als für den Unternehmer neutral erweist, als er aus den von ihm bezogenen Eingangsleis­tungen zum Vorsteuerabzug berechtigt ist.

bb) Dabei sieht es der EuGH als mit dem Neutralitätsgrundsatz vereinbar an, dass das Recht auf Vorsteuerabzug nur für diejenige Steuer besteht, die ge­schuldet wird und daher mit einem der Mehrwertsteuer unterworfenen Umsatz im Zusammenhang steht, so dass sich das Recht auf Vorsteuerabzug nicht auf eine Steuer erstreckt, die ausschließlich deshalb geschuldet wird, weil sie in der Rechnung ausgewiesen ist (EuGH-Urteile Genius Holding/Staatssecretaris van Financien vom 13.12.1989 ‑ C‑342/87, EU:C:1989:635, Rz 13 und 19 so­wie Reemtsma Cigarettenfabriken vom 15.03.2007 ‑ C‑35/05, EU:C:2007:167, Rz 23). Hierzu verweist der EuGH darauf, dass in der Rech­nung eine Steuer ausgewiesen sein muss, die mit einer Leistung in Zusam­menhang steht, so dass der Vorsteuerabzug für eine Steuer ausgeschlossen ist, die ‑‑entweder, weil sie höher ist als die gesetzlich geschuldete Steuer oder, weil der betreffende Umsatz nicht der Mehrwertsteuer unterliegt‑‑ in kei­nem Zusammenhang mit einem bestimmten Umsatz steht (EuGH-Urteil Genius Holding/Staatssecretaris van Financien vom 13.12.1989 ‑ C‑342/87, EU:C:1989:635, Rz 15). Eine Beeinträchtigung des Neutralitätsgrundsatzes sieht der EuGH hierin nicht, da es Sache der Mitgliedstaaten ist, die Geltung dieses Grundsatzes dadurch zu gewährleisten, dass sie in ihrem innerstaatli­chen Recht vorsehen, dass jede zu Unrecht in Rechnung gestellte Steuer be­richtigt werden kann, wenn der Aussteller der Rechnung seinen guten Glauben nachweist (EuGH-Urteil Genius Holding/Staatssecretaris van Financien vom 13.12.1989 ‑ C‑342/87, EU:C:1989:635, Rz 18).

cc) Damit stellt sich der Direktanspruch als ein auf Art. 168 MwStSystRL beru­hender Ausgleichsanspruch dafür dar, dass der EuGH den dort verwendeten Begriff "geschuldete oder entrichtete Mehrwertsteuer" auf eine gesetzlich ‑‑für eine Leistung‑‑ entstandene Steuer verengt. Der auf dieser Bestimmung beru­hende Direktanspruch mildert insoweit die sich aus der Versagung des Vor­steuerabzugs beim Leistungsempfänger eintretenden Folgen ab und ist nicht mit der Begründung, dass für ihn "keine Anspruchsgrundlage erkennbar" ist, ‑‑zur Schließung der Regelungslücke‑‑ als "öffentlich-rechtlicher Erstattungs­anspruch" aus einer analogen Anwendung des § 37 Abs. 2 AO abzuleiten (so aber von Sanden, Zeitschrift für das gesamte Mehrwertsteuerrecht ‑‑MwStR‑‑ 2021, 799, 803).

Denn erst aufgrund der Einschränkung des Vorsteuerabzugs auf die gesetzlich entstandene Steuer, der sich der erkennende Senat unter Aufgabe seiner frü­heren Rechtsprechung mit Urteil vom 02.04.1998 ‑ V R 34/97 (BFHE 185, 536, BStBl II 1998, 695, unter II.3.b cc) angeschlossen hat, kommt es zu der dem Direktanspruch zugrunde liegenden Fragestellung, wie eine zu Unrecht für eine Leistung in einer Rechnung ausgewiesene und an den Leistenden gezahlte Steuer zurückzufordern ist. War zuvor der Vorsteuerabzug auch dann zu beja­hen, wenn ein Steuerausweis in einer Rechnung für eine steuerfreie Leistung vorlag (z.B. BFH-Urteil vom 29.10.1987 ‑ V R 154/83, BFHE 152, 161, BStBl II 1988, 508, unter II.1.), erübrigten sich Fragen nach einer Rückabwicklung oder nach den Folgen einer Störung dieses Rückabwicklungsverhältnisses. Die­se Fragen ergaben sich früher lediglich dann, wenn ein Steuerausweis vorlag, der ‑‑wie etwa im Fall einer fehlenden entgeltlichen Leistungstätigkeit im Sin­ne von § 14c Abs. 2 UStG (zuvor § 14 Abs. 3 UStG a.F.)‑‑ als unberechtigt anzusehen war (BFH-Urteil vom 08.12.1988 ‑ V R 28/84, BFHE 155, 427, BStBl II 1989, 250, unter II.1. und II.2.).

c) Der Direktanspruch lässt sich auch nicht anderweitig und dabei ohne Anbin­dung an gesetzliche Bestimmungen ‑‑wie Art. 168 MwStSystRL‑‑ begründen.

aa) Das Kriterium einer ohne Direktanspruch eintretenden Bereicherung des Steuergläubigers vermag einen solchen Anspruch entgegen der Auffassung der Klägerin nicht eigenständig zu begründen. Hiergegen spricht bereits, dass der EuGH in seiner Rechtsprechung zum Direktanspruch ‑‑anders als in seiner Rechtsprechung zu anderen Bereichen (vgl. z.B. EuGH-Urteile Dyrektor Izby Administracji Skarbowej w Bydgoszczy vom 21.03.2024 ‑ C‑606/22, EU:C:2024:255, Rz 34 ff.; Chaudfontaine Loisirs vom 12.09.2024 ‑ C‑73/23, EU:C:2024:734, Rz 72 ff. und Casino de Spa u.a. vom 12.09.2024 ‑ C‑741/22, EU:C:2024:732, Rz 69 ff.)‑‑ hierauf nicht abstellt. Die Annahmen der Klägerin, dass der Direktanspruch bereits "aufgrund einer ungerechtfertigten finanziel­len Übervorteilung der Staatskasse" entstehe, dass "der rückgängig zu ma­chende untragbare Zustand der ungerechtfertigten Bereicherung des Staates" bereits für sich geeignet sei, einen Direktanspruch zu begründen, oder dass es ausreiche, dass "eine unberechtigte Bereicherung des Steuergläubigers auf­grund einer rechtsgrundlosen Zahlung … in einem öffentlich-rechtlichen Rechtsverhältnis entstanden" sei, erweisen sich danach nicht als zutreffend.

bb) Der Direktanspruch ist auch nicht als Ersatz- oder Hilfsanspruch des Rech­nungsempfängers für einen Rückforderungsanspruch des Rechnungsausstellers bei einer ‑‑möglichen, aber gleichwohl unterbleibenden‑‑ Rechnungsberichti­gung (so aber Hartman in Offerhaus/Söhn/Lange, § 15 UStG Rz 242 und dem folgend Esteves Gomes/von Sanden, Umsatzsteuer-Rundschau 2024, 829, 839) anzusehen. Hiergegen spricht bereits, dass der Direktanspruch nicht von Rechnungsberichtigungsvoraussetzungen abhängig ist, die ihn ‑‑ebenso wie das sich aus § 14c Abs. 1 Satz 2 UStG ergebende Erfordernis einer tatsächli­chen Berichtigung‑‑ bei einer derartigen Betrachtung einschränken müssten. Zudem entsteht die Steuerschuld aufgrund des gesonderten Steuerausweises in Rechnungen (§ 14c UStG und Art. 203 MwStSystRL) unabhängig von einer Zahlung des Rechnungsausstellers an den Steuergläubiger.

Im Übrigen kann eine Rechnungsberichtigung mit Erstattung an den Rech­nungsaussteller dem Direktanspruch zwar entgegenstehen, wie der EuGH für die Berichtigung durch einen Insolvenzverwalter entschieden hat (EuGH-Urteil H GmbH vom 05.09.2024 ‑ C‑83/23, EU:C:2024:699, Rz 37 f.), nicht aber den Direktanspruch selbst begründen. Dass der EuGH eine doppelte Verpflichtung des Steuergläubigers gegen den (berichti­genden) Rechnungsaussteller wie auch gegenüber dem Leistungs- und Rech­nungsempfänger zu vermeiden versucht, indem er den Berichtigungsanspruch des Rechnungsausstellers, der nicht an den Rechnungsempfänger erstatten will, als missbräuchlich ansieht (EuGH-Urteil Schütte vom 07.09.2023 ‑ C‑453/22, EU:C:2023:639, Rz 33 zur Verjährungseinrede), ist ebenso wenig zur Begründung des Direktanspruchs geeignet.

d) Steht der Direktanspruch im vorstehend beschriebenen Verhältnis zum Vor­steuerabzug, kann er sich nur auf eine in einer Rechnung ausgewiesene Steuer beziehen, ohne die es nicht zum Vorsteuerabzug kommen kann, da ein Steu­erpflichtiger nicht beanspruchen kann, einen Steuerbetrag abzuziehen, der ihm nicht in Rechnung gestellt wurde (EuGH-Urteil Zipvit vom 13.01.2022 ‑ C‑156/20, EU:C:2022:2, Rz 31 und BFH-Urteil vom 07.07.2022 ‑ V R 33/20, BFHE 276, 449, BStBl II 2022, 821, Rz 20), wobei sich der Direktanspruch für die "zu Unrecht in Rechnung gestellte Steuer" (EuGH-Urteile Reemtsma Cigarettenfabriken vom 15.03.2007 ‑ C‑35/05, EU:C:2007:167, Rz 42; HUMDA vom 13.10.2022 ‑ C‑397/21, EU:C:2022:790, Rz 30; Schütte vom 07.09.2023 ‑ C‑453/22, EU:C:2023:639, Rz 37 und H GmbH vom 05.09.2024 ‑ C‑ 83/23, EU:C:2024:699, Rz 44) zudem auf eine bereits erbrachte oder zumindest für eine zu erbringende Leistung beziehen muss, da ansonsten der Anwendungsbereich des Vorsteuerabzugs nicht einmal dem Grunde nach eröffnet ist, wie sich aus Art. 168 MwStSystRL und § 15 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 Satz 1 und 3 UStG ergibt.

Damit ist auch ein Steuerausweis für eine erst noch zu erbringende Leistung im Sinne von § 15 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 Satz 3 UStG "direktanspruchsfähig", wie der EuGH bereits entschieden hat (EuGH-Urteil Kollroß und Wirtl vom 31.05.2018 ‑ C‑660/16 und C‑661/16, EU:C:2018:372, Rz 67), ohne dass daraus aber, wie die Klägerin geltend macht, abzuleiten wäre, dass ein Direktanspruch auch ohne jeglichen Bezug zu einer erbrachten oder zu erbringenden Leistung besteht.

Auf dieser Grundlage erweist sich damit die vom EuGH in Bezug auf den Di­rektanspruch gewählte Begrifflichkeit, aus der sich gleichfalls die Einschrän­kung des Direktanspruchs auf einen zu Unrecht erfolgten Steuerausweis für derartige Leistungen ergibt (s. hierzu BFH-Urteil vom 22.08.2019 ‑ V R 50/16, BFHE 266, 395, BStBl II 2022, 290, Rz 21 und nachfolgend EuGH-Urteil HUMDA vom 13.10.2022 ‑ C‑397/21, EU:C:2022:790, erste Antwort: "Steuer­pflichtiger, dem ein anderer Steuerpflichtiger eine Dienstleistung erbracht hat"; EuGH-Urteil Schütte vom 07.09.2023 ‑ C‑453/22, EU:C:2023:639, Ant­wort: "Empfänger von Lieferungen von Gegenständen"; EuGH-Urteil H GmbH vom 05.09.2024 ‑ C‑83/23, EU:C:202:699, Rz 47: "Leistungsempfänger" und "Leistender"), entgegen einer hieran geübten Kritik (von Streit/Streit, MwStR 2020, 174, 176; Leipold in Sölch/Ringleb, Umsatzsteuer, § 14c Rz 153) als zutreffend. Gegen die (teilwei­se) im Schrifttum erstrebte Erweiterung des Direktanspruchs auf Rechnungs­empfänger, die Zahlungen auf einen Steuerausweis durch Rechnungsaussteller leisten, spricht zudem, dass der EuGH diese Begriffe in seinen Urteilen zum Di­rektanspruch nur in anderen Zusammenhängen, nicht aber mit Bezug zum Di­rektanspruch selbst verwendet (EuGH-Urteile HUMDA vom 13.10.2022 ‑ C‑397/21, EU:C:2022:790, Rz 16 und 19 f. und Schütte vom 07.09.2023 ‑ C‑453/22, EU:C:2023:639, Rz 29 f.).

2. Im Streitfall hat das FG einen Direktanspruch zutreffend verneint.

a) Es fehlt bereits an einem Steuerausweis in einer Rechnung.

aa) Dieser ergab sich nach den vom FG getroffenen Feststellungen nicht aus den im Streitjahr erteilten "Belastungen".

(1) Die Auslegung von Verträgen und Willenserklärungen gehört zum Bereich der tatsächlichen Feststellungen und bindet den BFH gemäß § 118 Abs. 2 FGO, wenn sie den Grundsätzen der §§ 133, 157 des Bürgerlichen Gesetzbuchs (BGB) entspricht und nicht gegen Denkgesetze und Erfahrungssätze verstößt. Das Revisionsgericht prüft lediglich, ob das FG die gesetzlichen Auslegungsre­geln sowie die Denkgesetze und Erfahrungssätze beachtet und die für die Ver­tragsauslegung bedeutsamen Begleitumstände erforscht und rechtlich zutref­fend gewürdigt hat. Entspricht die Auslegung des FG den gesetzlichen Ausle­gungsregeln sowie den Denkgesetzen und den allgemeinen Erfahrungssätzen, ist sie für den BFH bindend, auch wenn sie nicht zwingend, sondern nur mög­lich ist, wie der BFH mit Urteil vom 26.06.2019 ‑ XI R 5/18 (BFHE 266, 67, BStBl II 2023, 521, Rz 29) zu der ‑‑auch vorliegend streitentscheidenden‑‑ Frage, ob ein Steuerausweis in einer Rechnung vorliegt, bereits ausdrücklich entschieden hat.

(2) Im Streitfall hat das FG in seinem Urteil (S. 48 unter 2.b dd) unter Bezug­nahme auf das BFH-Urteil vom 26.06.2019 ‑ XI R 5/18 (BFHE 266, 67, BStBl II 2023, 521), das zu den vorliegend streitgegenständlichen "Belastungen" in der vom Insolvenzverwalter des Abnehmers der M‑GmbH geführten Finanz­streitsache ergangen ist, entschieden, dass es sich bei diesen bereits dem Grunde nach nicht um Rechnungen gehandelt hat. Diese Würdigung ist revisionsrechtlich bereits deshalb nicht zu beanstanden, da der XI. Senat des BFH seine Entscheidung insbesondere mit dem Fehlen eines Steuerausweises im Sinne von § 14c UStG begründet hat, woraus sich das Fehlen des vorlie­gend maßgeblichen Steuerausweises im Sinne eines nach § 14 Abs. 4 Satz 1 Nr. 8 UStG auf das Entgelt entfallenden Steuerbetrags ergibt. Maßgeblich ist somit, dass die "Belastungen" aufgrund von Minuszeichen, die den dort enthaltenen Steuerbeträgen vorangestellt waren, keinen Steuerausweis enthielten.

(3) Diese Feststellung des FG entfaltet im Revisionsverfahren gemäß § 118 Abs. 2 FGO Bindungswirkung, da sie den gesetzlichen Auslegungsregeln sowie den Denkgesetzen und den allgemeinen Erfahrungssätzen entspricht. Sie wird zudem nicht von der Klägerin mit zulässigen und begründeten Verfahrensrü­gen angegriffen. Insbesondere greift die von der Klägerin erhobene Aufklä­rungsrüge (§ 76 FGO) in Bezug auf die von ihr beantragte, aber unterbliebene Beweiserhebung nicht durch.

(a) Das FG muss einem Beweisantrag nur dann nachkommen, wenn dieser substantiiert ist, was voraussetzt, dass das Beweisthema und das voraussicht­liche Ergebnis der Beweisaufnahme in Bezug auf einzelne konkrete Tatsachen genau angegeben werden (BFH-Beschluss vom 17.07.2014 ‑ XI B 87/13, BFH/NV 2014, 1891, Rz 22). Nicht zu den Tatsachen gehört dabei die Bekun­dung des Ergebnisses einer rechtlichen Würdigung (BFH-Beschluss vom 17.07.2014 ‑ XI B 87/13, BFH/NV 2014, 1891, Rz 24). Dasselbe gilt für Schlussfolgerungen aller Art, insbesondere Rechtsfragen und juristische Sub­sumtionen, sofern es nicht um ausländisches Recht geht (BFH-Beschluss vom 08.10.2019 ‑ XI B 49/19, BFH/NV 2020, 114, Rz 17).

(b) Danach hatte das FG den von der Klägerin beantragten Beweis nicht zu er­heben, ohne dass es auf die vom FG bejahte Frage ankommt, ob ein unzuläs­siger Ausforschungsbeweis vorliegt. Denn die Klägerin hat mit dem von ihr an­geführten Antrag, mit dem Beweis darüber erhoben werden sollte, dass der Abnehmer "mittels EDI-Datensatz ordnungsgemäße Rechnungen an die Firma … [X] als gleichzeitigen Empfangsbevollmächtigten der … [M‑GmbH] übermit­telt hat", als Beweisthema keine Tatsache, sondern das Ergebnis einer rechtli­chen Würdigung, wonach Rechnungen im Sinne von § 14 Abs. 4 Satz 1 UStG übermittelt worden seien, bezeichnet, wovon im Übrigen auch die Klägerin selbst ausgeht, wenn sie in anderem Zusammenhang ausführt, dass in einer "formal ordnungsgemäßen Rechnung" das Ergebnis "einer korrekten Subsum­tion" zu sehen ist. Dabei kommt es im Hinblick auf § 126 Abs. 4 FGO nicht darauf an, aus welchem Grund der Beweisantrag der Klägerin abzulehnen war (BFH-Beschluss vom 27.06.2002 ‑ VII B 268/01, BFH/NV 2002, 1595, unter II.1.).

(c) Zudem müsste sich für das FG insoweit auch keine weitergehende Sach­aufklärung von Amts wegen aufdrängen, da bereits nicht ersichtlich ist, wes­halb die Klägerin Unterlagen, die einem Empfangsbevollmächtigten der M‑GmbH vorlagen, nicht selbst in das Verfahren einführen konnte.

bb) Soweit die Klägerin hierzu im Übrigen geltend macht, aufgrund der im Jahr 2022 vorgenommenen Berichtigung des Abnehmers seien die ursprünglichen "Belastungen" dahingehend geändert worden, dass die Minuszeichnen entfal­len seien, führt dies ebenso wie die zuvor vom Insolvenzverwalter in 2016 er­teilten "Stornierungen und Neuberechnungen" zu keiner abweichenden Beur­teilung. Denn einer Rechnungsberichtigung kommt für den Vorsteuerabzug nur dann Rückwirkung zu, wenn das zu berichtigende Ausgangsdokument einen bestimmten Mindestinhalt aufweist, wozu auch der gesonderte Steuerausweis gehört (BFH-Urteile vom 20.10.2016 ‑ V R 26/15, BFHE 255, 348, BStBl II 2020, 593, Rz 13 und 19 und vom 07.07.2022 ‑ V R 33/20, BFHE 276, 449, BStBl II 2022, 821, Rz 17). Kommt somit beim Vorsteuerabzug einem erst später erteilten Steuerausweis keine Rückwirkung zu, folgt hieraus für den aus dem Vorsteuerabzug abgeleiteten Direktanspruch, dass einem erst später nachträglich erteilten Steuerausweis jedenfalls für den für das Streitjahr ge­stellten Billigkeitsantrag keine Bedeutung zukommt.

cc) Fehlt es somit bereits an einem Steuerausweis als ‑‑worauf der Senat die Klägerin im Revisionsverfahren ausdrücklich hingewiesen hat‑‑ Grundelement einer Rechnung, kommt es auf die vom FG (Urteil, S. 37) bejahte Frage, ob der Direktanspruch weitergehend auch eine ordnungsgemäße und damit zum Vorsteuerabzug berechtigende Rechnung voraussetzt, wogegen sich die Kläge­rin umfangreich unter Bezugnahme auf die EuGH-Rechtsprechung ‑‑wie die EuGH-Urteile Vadăn vom 21.11.2018 ‑ C‑664/16, EU:C:2018:933; PORR Epitesi Kft. vom 11.04.2019 ‑ C‑691/17, EU:C:2019:327, Rz 34 und Farkas vom 26.04.2017 ‑ C‑564/15, EU:C:2017:302, Rz 45‑‑ wendet, nicht an.

b) Zudem beziehen sich die "Belastungen" mit Ausnahme des "Kategorienbo­nus", zu dem das FG im vorliegenden Billigkeitsverfahren die Frage einer Leis­tungserbringung letztlich offengelassen hat, nicht auf Leistungen, die der Ab­nehmer an die M‑GmbH erbracht hat.

aa) Das FG hat hierzu entschieden, dass aufgrund der in den Vereinbarungen verwendeten Formulierungen, wie zum Beispiel "Grundbonus", "Umsatzzu­wachs", "umsatzbezogene Bonusstaffel", "Zentralbonus", "Potentialbonus", "Home-Shopping", echte Boni und Rabatte zur Verringerung des vom Abneh­mer geschuldeten Kaufpreises vorlagen. Die Bonuszahlungen seien in den Um­ständen des Absatzes der zu liefernden Waren selbst angelegt gewesen, wäh­rend eine gesondert zu vergütende Leistung des Abnehmers an die M‑GmbH nicht ersichtlich sei. Dabei konnte das FG insbesondere davon ausgehen, dass im "Erreichen der Abnahmemengen" keine sonstige Leistung des Abnehmers zu sehen ist.

bb) Soweit die Klägerin hiergegen geltend macht, dass der Abnehmer sonstige Leistungen an die M‑GmbH erbracht habe, lässt sie außer Betracht, dass die vorinstanzliche Sachverhaltswürdigung den BFH bindet, wenn sie ‑‑wie vorlie­gend‑‑ frei von Verfahrensfehlern ist und weder Widersprüche noch einen Ver­stoß gegen Denkgesetze oder Erfahrungssätze enthält und eine vom FG vorge­nommene Vertragsauslegung nach den Grundsätzen der §§ 133, 157 BGB zu­mindest möglich ist. Im Streitfall hat das FG die gesetzlichen Auslegungsregeln sowie die Denkgesetze und Erfahrungssätze beachtet und die für die Vertrags­auslegung bedeutsamen Begleitumstände erforscht und zutreffend gewürdigt (zum Prüfungsmaßstab vgl. z.B. BFH-Urteil vom 12.02.2020 ‑ XI R 24/18, BFHE 268, 351, BStBl II 2022, 191, Rz 43). Damit ist im Streitfall ein revisi­onsrechtlich erheblicher Rechtsfehler zu verneinen.

3. Das Urteil des FG erweist sich auch nicht in anderer Hinsicht als rechtsfeh­lerhaft.

a) Fehlt es bereits an dem erforderlichen Steuerausweis und gegebenenfalls mit Ausnahme des "Kategorienbonus" an der erforderlichen Leistungserbrin­gung an den Voraussetzungen des Direktanspruchs, kommt es auf die weiter­gehenden Überlegungen der Klägerin zu anderen Anspruchsvoraussetzungen wie etwa ein ‑‑aus ihrer Sicht‑‑ zu verneinendes Mitverschulden nicht an.

b) Soweit die Klägerin mit ihrem Revisionsvortrag geltend machen sollte, dass die materiellen und die formellen Voraussetzungen des § 15 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 UStG bereits aufgrund der ursprünglichen "Belastungen" vorliegen und ihr daher das Recht auf Vorsteuerabzug zustehe, wäre hierüber in einem Fest­setzungsverfahren, nicht aber in dem hier vorliegenden Billigkeitsverfahren zu entscheiden. Denn eine bestandskräftig festgesetzte Steuer ist nur dann im Billigkeitsverfahren zu erlassen, wenn die Steuerfestsetzung offensichtlich und eindeutig unrichtig ist und es dem Steuerpflichtigen nicht zuzumuten war, sich hiergegen in dem dafür vorgesehenen Festsetzungsverfahren zu wehren (vgl. z.B. BFH-Urteil vom 29.05.2008 ‑ V R 45/06, BFH/NV 2008, 1889, unter II.1.d; BFH-Beschlüsse vom 11.03.2011 ‑ V B 45/10, BFH/NV 2011, 999, Rz 6; vom 04.11.2009 ‑ VI B 60/08, BFH/NV 2010, 468, unter 2.). Daran fehlt es vorliegend bereits im Hinblick auf das gesonderte und dabei auf die Steuerfestsetzung für das Streitjahr bezogene Klageverfahren.

c) Für die Beurteilung im Streitfall unerheblich ist weiter, dass ein Anspruch auf Erstattung von Abgaben, die ein Mitgliedstaat unter Verstoß gegen das Unionsrecht erhoben hat, bestehen kann (vgl. hierzu EuGH-Urteil Danfoss und Sauer-Danfoss vom 20.10.2011 ‑ C‑94/10, EU:C:2011:674, Rz 20 ff.). Denn im Streitfall ist die Steuer, auf deren Festsetzung aus Billigkeitsgründen ver­zichtet werden soll, nicht unter Verstoß gegen das Unionsrecht, sondern viel­mehr gerade im Einklang mit dem Unionsrecht erhoben worden, da der festge­setzte Steueranspruch darauf beruht, dass die Klägerin den Vorsteuerabzug aus einer gesetzlich nicht entstandenen Steuer beansprucht hat (s. oben III.1.b bb).

4. Der Senat kann auch in der Sache entscheiden.

a) Eine Verfahrensaussetzung (§ 74 FGO) im Hinblick auf das beim FG anhän­gige Verfahren 7 K 157/20 kommt nicht in Betracht. Die Entscheidung dieser Sache ist für den Streitfall ohne Bedeutung, da sich das von der Klägerin in Bezug genommene Verfahren nach dem unwidersprochen gebliebenen Vortrag des FA auf das Jahr 2012 und nicht auf das Streitjahr 2006 und zudem auf die vorliegend nicht streitige Frage einer Steuersatzermäßigung für Nahrungsmit­tel in flüssiger Form bezieht.

b) Es ist auch kein Vorabentscheidungsersuchen gemäß Art. 267 des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union (vgl. zu den Voraussetzungen EuGH-Urteile CILFIT u.a. vom 06.10.1982 ‑ 283/81, EU:C:1982:335, Rz 21 und Consorzio Italian Management und Catania Multiservizi vom 06.10.2021 ‑ C‑561/19, EU:C:2021:799, Rz 66) einzuleiten, da die für den Streitfall maß­geblichen Rechtsfragen durch die Rechtsprechung des EuGH in einer Weise geklärt sind, die keine vernünftigen Zweifel offenlässt. Entgegen der Rechts­auffassung der Klägerin stehen die vom EuGH gewählten Begrifflichkeiten (zum Steuerausweis und zur Leistungserbringung s. oben III.1.d) nicht "in ei­nem nicht auflösbaren Widerspruch" zum Neutralitätsgrundsatz, da dieser vielmehr den Bedeutungsinhalt dieser Begrifflichkeiten bestätigt (s. oben III.1.b). Zur Begründung eines Vorabentscheidungsersuchens reicht es bei Fehlen von Zweifeln auch nicht aus, dass dem EuGH "bislang schlichtweg noch keine vergleichbaren Fälle zur Entscheidung vorgelegt" wurden. Auch die von der Klägerin in diesem Zusammenhang angesprochene "unrechtmäßige Berei­cherung der öffentlichen Hand" rechtfertigt ohne die vorliegend zu verneinen­den Zweifel kein Vorabentscheidungsersuchen (s. oben III.1.c aa). Unbeacht­lich ist im Übrigen, ob es zur Verneinung eines Direktanspruchs in den Fällen eines Steuerausweises ohne die --von der Klägerin wiederholt angesproche­ne‑‑ ordnungsgemäße Rechnung oder einer durch einen Nichtunternehmer er­brachten Leistung eines Vorabentscheidungsersuchens bedürfte, da über der­artige Fallgestaltungen vorliegend nicht zu entscheiden ist.

5. Die Kostenentscheidung beruht auf § 135 Abs. 2 FGO.

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