BMF: Steuerbefreiung nach Artikel X Absatz 1 NATO-Truppenstatut – Neue Rechtsauslegung
Bundesministerium der Finanzen 26. Juli 2023, IV B 4 - S 1311/20/10002 :009 (DOK 2023/0699619)
Artikel X Absatz 1 NATO-Truppenstatut1 lautet wie folgt:
„1Hängt in dem Aufnahmestaat die Verpflichtung zur Leistung einer Steuer vom Aufenthalt oder Wohnsitz ab, so gelten die Zeitabschnitte, in denen sich ein Mitglied einer Truppe oder eines zivilen Gefolges nur in dieser Eigenschaft im Hoheitsgebiet dieses Staates aufhält, im Sinne dieser Steuerpflicht nicht als Zeiten des Aufenthalts in diesem Gebiet oder als Änderung des Aufenthaltsortes oder Wohnsitzes. 2Die Mitglieder einer Truppe oder eines zivilen Gefolges sind in dem Aufnahmestaat von jeder Steuer auf Bezüge und Einkünfte befreit, die ihnen in ihrer Eigenschaft als derartige Mitglieder von dem Entsendestaat gezahlt werden, sowie von jeder Steuer auf die ihnen gehörenden beweglichen Sachen, die sich nur deshalb in dem Aufnahmestaat befinden, weil sich das Mitglied vorübergehend dort aufhält.“
Im Einvernehmen mit den obersten Finanzbehörden der Länder gilt unter Berücksichtigung der bisherigen Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs2 für die Anwendung von Artikel X Absatz 1 Satz 1 und Satz 2 NATO-Truppenstatut für die Besteuerung von
- Mitgliedern einer Truppe gemäß Artikel I Absatz 1 Buchst. (a) NATO-Truppenstatut,
- Mitgliedern eines zivilen Gefolges gemäß Artikel I Absatz 1 Buchst. (b) NATO-Truppenstatut,
- Fachkräften i. S. v. Artikel 71 Absatz 5, Artikel 72 Absatz 5 und Artikel 73 Zusatzabkommen zum NATO-Truppenstatut3, die wie Mitglieder eines zivilen Gefolges i. S. v. Artikel I Absatz 1 Buchst. (b) NATO-Truppenstatut zu behandeln sind,
die sich in der Bundesrepublik Deutschland aufhalten, Folgendes:
Allein für die Anwendung von Artikel X Absatz 1 Satz 1 NATO-Truppenstatut ist von Bedeutung, dass sich die vorgenannten Personengruppen nur in ihrer Eigenschaft als Mitglied einer Truppe oder eines zivilen Gefolges in der Bundesrepublik Deutschland aufhalten. Hat daher eine der vorgenannten Gruppen zugehörige Person im Inland einen Wohnsitz (§ 8 AO) oder einen gewöhnlichen Aufenthalt (§ 9 AO) und sind die Voraussetzungen des Artikels X Absatz 1 Satz 1 NATO-Truppenstatut erfüllt, unterliegt diese mit etwaigen inländischen Einkünften lediglich der beschränkten Einkommensteuerpflicht nach § 1 Absatz 4 i. V. m. § 49 Einkommensteuergesetz (EStG). Sind die Voraussetzungen des Artikels X Absatz 1 Satz 1 NATO-Truppenstatut nicht erfüllt, unterliegt die betreffende Person in der Bundesrepublik Deutschland mit ihren inländischen und ausländischen Einkünften der unbeschränkten Einkommensteuerpflicht nach § 1 Absatz 1 EStG.
Artikel X Absatz 1 Satz 2 NATO-Truppenstatut ist unabhängig davon anwendbar, ob die Voraussetzungen des Artikels X Absatz 1 Satz 1 NATO-Truppenstatut vorliegen. Dies ergibt sich daraus, dass mit „derartige Mitglieder“ i. S. v. Satz 2 des Artikels X Absatz 1 NATO-Truppenstatut alle im ersten Halbsatz von Satz 2 des Artikels X Absatz 1 NATO-Truppenstatut genannten Mitglieder einer Truppe oder eines zivilen Gefolges und Fachkräfte im Sinne der Artikel 71 Absatz 5, 72 Absatz 5 und 73 des Zusatzabkommens zum NATO-Truppenstatut gemeint sind. Die Steuerfreistellung nach Satz 2 des Artikels X Absatz 1 NATO-Truppenstatut ist danach bei Vorliegen der dort genannten Voraussetzungen auch dann zu gewähren, wenn sich die betroffene Person nicht nur in der Eigenschaft als Mitglied einer Truppe oder eines zivilen Gefolges oder als Fachkraft im vorbezeichneten Sinne in der Bundesrepublik Deutschland aufhält. Die in Bezug auf Artikel X Absatz 1 Satz 2 NATO-Truppenstatut durch die vorgenannte BFH-Rechtsprechung geprägte Verwaltungsauffassung, die Steuerfreistellung nach Artikel X Absatz 1 Satz 2 NATO-Truppenstatut nur bei Vorliegen der Voraussetzungen von Artikel X Absatz 1 Satz 1 NATO-Truppenstatut zu gewähren, wird nicht länger aufrechterhalten.
Bei den Fachkräften ist weiterhin insbesondere nach Maßgabe der Notenwechsel zu den deutsch-amerikanischen Vereinbarungen
- über die Gewährung von Befreiungen und Vergünstigungen gemäß Artikel 72 des Zusatzabkommens zum NATO-Truppenstatut
- zur Truppenbetreuung vom 27.03.1998 (BStBl 1998 I S. 961); ergänzt durch Notenwechsel vom 20.03.2003 (BGBl. 2003 II S. 437)
- zur Rahmenvereinbarung analytische Dienstleistungen vom 29.06.2001 (BGBl. 2001 II S. 1018); ergänzt durch Notenwechsel vom 11.08.2003 (BGBl. 2003 II S. 1540) und vom 28.07.2005 (BGBl. 2005 II S. 1115)
- über die Auslegung und Anwendung des Artikels 73 des Zusatzabkommens zum NATO-Truppenstatut
- zu technischen Fachkräften vom 27.03.1998 (BStBl 1998 I S. 881)
zu prüfen, ob die Voraussetzungen der Artikel 71 Absatz 5, Artikel 72 Absatz 5 oder Artikel 73 Zusatzabkommen zum NATO-Truppenstatut für die Zuweisung und die Beibehaltung des Status als Fachkraft in diesem Sinne erfüllt sind. Sind die Voraussetzungen erfüllt, ist für die Fachkräfte unter den in Artikel 71 Absatz 5, Artikel 72 Absatz 5 und Artikel 73 Zusatzabkommen zum NATO-Truppenstatut benannten Voraussetzungen Artikel X Absatz 1 NATO-Truppenstatut entsprechend anwendbar.
Die Grundsätze dieses Schreibens sind in allen offenen Fällen anzuwenden.
Dieses Schreiben wird im Bundessteuerblatt Teil I veröffentlicht.
1 Abkommen zwischen den Parteien des Nordatlantikvertrags über die Rechtsstellung ihrer Truppen vom 19. Juni 1951 (BGBl. 1961 II S. 1190 ff.).
2 Urteile des Bundesfinanzhofs insbesondere vom 19. Mai 1971 - I R 55/69 - (BStBl II 1971 S. 659) und vom 24. Februar 1988 - I R 69/84 - (BStBl II 1989 S. 290).
3 Zusatzabkommen zu dem Abkommen zwischen den Parteien des Nordatlantikvertrags über die Rechtsstellung ihrer Truppen hinsichtlich der in der Bundesrepublik Deutschland stationierten ausländischen Truppen vom 3. August 1959 (BGBl. 1961 II S. 1218) - in Kraft getreten zum 1. Juli 1963 - in der Fassung der Änderungsgesetze vom 3. August 1973 (BGBl. II S. 1021) und vom 28. September 1994 (BGBl. II S. 2594) - Artikel 72 und 73 des Zusatzabkommens gelten seit 1. Juli 1963.